Diese Phase der Auseinandersetzung mit der fremden Kultur und Sprache ist durchsetzt von Zyklen positiver und negativer Erfahrungen, die jedoch, bei eigener Anstrengung, deutlich zum Positiven tendieren.
Probleme können sich z.B. beim Umgang mit Autoritätspersonen (Polizei, Lehrende, Behörden, ...) ergeben.
Zitat:
"... die Behörden, die einen wirklich - und man ist es ja auch wirklich - wie einen Ausländer behandeln: herablassend und wenig wohlwollend. Da kann es schon mal fünf (!) Monate dauern, bis man die "Carte de Séjour" hat. Das nervt. Klar, und irgendwann nervt die fremde Mentalität auch schon mal, aber das hat den Vorteil, dass man auch mal die eigene in Frage stellt bzw. sich abgrenzen lernt."
Betrachtet diese Erfahrungen als wichtige Aneignung von Kulturkompetenz. Ihr werdet ein immer differenzierteres Bild von der Fremdkultur bekommen ("Interkultur").
Das Gleiche gilt für die Ausbildung von Sprachkompetenzen. Bisweilen werdet Ihr von Euren Verständnis- und Ausdrucksfähigkeiten selbst überrascht sein; bald darauf habt Ihr sehr große Probleme, auch nur einen vernünftigen Satz zu verstehen bzw. zu produzieren. Auch hierbei handelt es sich um Hürden, die übersprungen werden können, wenn Ihr es nur versucht und nicht aufgebt. Ihr vergesst, erinnert Euch wieder, das ist ein rekurrenter Prozess, wobei die jeweilige Tagesform auch eine große Rolle spielt. Seid Ihr mal nicht so gut drauf, müde, erschöpft, etc., könnt Ihr auch nicht so gut sprechen. Dadurch könnt Ihr leicht, vorübergehend, das Interesse am Erzählen verlieren. Daraus resultiert Unzufriedenheit und Frust, was sich noch negativer auf die Sprachproduktion auswirkt. Nur nicht aufgeben! Irgendwann winkt der alles entscheidende Durchbruch, der alles rekompensiert.
Jede Kultur hat ihr Zeichensystem, das es zu dekodieren gilt. Es lässt sich kaum aus Büchern erlernen, sondern muss vor Ort "erfahren" werden. Dabei kommt es zwangsläufig zu Missverständnissen. Sie können z.B. sprachlicher Natur sein.
Zitat:
"Ich sitze mit etwa 11 Lehrerkollegen in einem marokkanischen Restaurant und will die noch nicht brennende Kerze anzünden. Dies will ich meiner mir gegenüber sitzenden Kollegin verkünden, doch da fällt mir doch nicht mehr das Wort für "Kerze" ein. Also sage ich: "Je vais vous allumer..."; und sie: "Oui, allumez-moi". Gut, dass das Licht gedimmt war..."
Viele Missverständnisse entzünden sich aber auch an verinnerlichten Verhaltensweisen, die es in der Eigenkultur unter Umständen nicht gibt.
Zitat:
"Une anecdote: une élève du cours de théâtre au lycée (que je suivais régulièrement et avec beaucoup de plaisir) venait me faire la bise avant le cours. Elle se mettait donc devant moi en tournant la joue vers moi. Je ne me doutais de rien et croyait qu’elle voulait m’indiquer quelque chose. Comme je ne voyais rien, je n’ai pas réagi. Dès lors, elle était beaucoup moins chaleureuse envers moi mais j’ignorais ses raisons jusqu’à ce qu’elle me l’ait dit un jour. L’embarras..."
Derartige "verlorene Situationen" können in einem weniger vertraulichen Rahmen durchaus ernsthafte Konsequenzen haben und zu regelrechten "Krisen" führen.
Zitat:
"Mes relations avec les professeurs du collège se sont refroidies rapidement parce que j’avais osé donner mon impression sur les cours que j’avais vus (pour montrer mon intérêt). Cela a influencé l’ambiance tellement négativement que quelques professeurs ne me parlaient plus, me reprochaient ce que je n’avais pas fait, contactaient le principal pour qu’il ne prenne plus de stagiaires, etc. Pour éviter des conséquences négatives, surtout pour de futurs stagiaires, je suis intervenu: j’ai essayé de m’expliquer mais j’avais l’impression d’empirer la situation de façon que j’ai contacté mon tuteur. Pendant cette crise, je me suis rendu compte du fait qu’une mauvaise ambiance peut rendre la vie du professeur infernale et que des rumeurs et des contrevérités peuvent détruire tout en très peu de temps."
Insgesamt nehmen in dieser Phase allerdings die positiven Eindrücke zu, da man sich immer sicherer in der Sprache und Kultur bewegt.
Fallen negative Erlebnisse im Ausland oft ungewöhnlich extrem aus, so gilt dies auch für die positiven. Ihr habt nämlich, je nach Programm, wesentlich mehr Zeit, Euch um Sachen zu kümmern, die Euch außerhalb des Studiums interessieren: neue Sportarten, Lesen, Musik, Ausflüge, Feten... Dazu kommt, dass Euch niemand kennt; Ihr könnt also ein ganz neues Lebensgefühl/eine neue Identität entwickeln und steht dabei meistens im Zentrum des Interesses, ohne (voll) für Euer Handeln verantwortlich zu sein ("Bei uns macht man das so...!"). Im übrigen findet auch soziales Lernen statt: Ihr werdet sensibilisiert für die Schwierigkeiten, die Ausländer haben und öffnet Euch mehr für die Belange Eurer Mitmenschen. Kurzum, Ihr werdet alles das erleben, für das Euch der Alltagstrott sonst (leider) keine Zeit lässt.
Ganz besondere Erinnerungen bieten: Einladungen von Lehrern, Freunden, etc., das Reden (und Verstanden werden) in einer Gruppe von Franzosen, gemeinsames Singen und Spielen, Themenabende ("soirée allemande"), usw. Bedenkt bitte, dass es hierbei gerade auf Eure Initiative ankommt, denn die Franzosen befinden sich ja im gleichen Alltagstrott wie Ihr sonst.
Die zahlreichen Auf und Abs münden i.d.R. in einer vollständigen Assimilation der ehemals fremden Umgebung: man bewegt sich in ihr ohne Probleme, hat Spaß, wird eingeladen von allen Seiten, fühlt sich verstanden und akzeptiert... Die Sprache wird zur "Muttersprache" und der "aufregende" Auslandsaufenthalt zum Alltag. Der Abschied ist dementsprechend schwer; man ist der Ansicht, etwas Großartiges geleistet zu haben, obwohl, oder gerade weil, der Aufenthalt nicht immer einfach war. Aber das hat man in dieser Phase schon meist wieder vergessen/verdrängt.
Zitat:
"Jetzt ist gerade alles so vertraut, man hat sich seine eigene Welt geschaffen, eine neue Identität aufgebaut. Man benutzt jetzt auch eine andere Sprache, die ein Teil von einem selbst geworden ist. Es tat mir sehr weh, meine Freunde, mein neues zu Hause und alles andere verlassen zu müssen. Trotz aller Wiedersehensfreude in Deutschland bleibt ein Teil von mir in Lyon. Ich habe das Gefühl, anders geworden zu sein als die anderen. Sie reden über Dinge, die ich nicht kenne, und ich rede über Dinge, die sie nicht kennen. Es beginnt eine harte Zeit des Verarbeitens von Gefühlen und Sehnsüchten, die niemand hier so richtig nachvollziehen kann. Wie auch?"
Eine eigene (transkulturelle) Perspektive ermöglicht nach Überwindung von Nostalgie und Trennungsschmerz das kritische Erkennen und Trennen der Ursprungs- und Fremdkultur.
Nicht selten haben Studierende zweier Fremdsprachen den Wunsch, in beiden Ländern zu studieren. Man könnte nun meinen, nach den Negativerfahrungen zu Beginn des ersten Auslandsaufenthaltes (Einsamkeit, Kulturschock, Isolation...) ist man bei dem zweiten vor den selbigen gefeit - weit gefehlt! Grob gesagt durchläuft man den gesamten Prozess vom Kulturschock zur weitestgehenden Assimilation noch einmal. Er kann während des zweiten Aufenthaltes sogar noch stärker ausfallen, weil man lieber die mühsam errungene Stellung im ersten Gastland pflegt, anstatt wieder von vorne anzufangen. Interessanterweise steht dabei oftmals nicht die ursprüngliche Kultur im Wege, sondern die neue "transkulturelle" Identität.
Gegen die Einsamkeit zu Beginn: die geliebte Radiosendung von daheim mitschneiden und mitnehmen, evtl. mit Kommentaren von Freunden. Die Anschaffung eines (Gebraucht-) Fernsehers bzw. eines Radios lohnt sich durchaus. Man lernt die Sprache kaum angenehmer. Auch ist man so ständig in einem französischen Kontext und kann über bestimmte Sendungen mitreden.
Ab und zu eine Zeitung erleichtert das Textverständnis, hält auf dem Laufenden und das Sammeln von bestimmten Artikeln kann für die Uni und vielleicht sogar für eine spätere Anstellung als Lehrer nützlich sein.
Ab und zu einfach in den Bus oder die Metro steigen und an irgendeiner Haltestelle aussteigen und sich umsehen. Dadurch lernt man die Stadt kennen, entdeckt Unerwartetes,...
In vielen Universitätsstädten ist Donnerstag DER Tag, an dem alle ausgehen. Hier bietet sich auch eine gute Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen.
Wenn es mit der Rückreise vereinbar ist, sollte man sich in Frankreich viele Bücher zulegen. Normale Taschenbücher sind allgemein preiswerter als in Deutschland, und außerdem gibt es die ganzen "Klassiker" als "Maxi livre" oder "Librio"-Ausgabe für 10 FF zu kaufen. Lohnenswert sind auch Gebrauchtläden und Flohmärkte.
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